PETER NIKLAS WILSON "Reduktion . Zur Ästhetik einer musikalischen Strategie"

Auszug: Statement Burkhard Beins

Weit entfernt davon, zu glauben, damit auf etwas musikgeschichtlich besonders Neues gestoßen zu sein, gewannen "reduktive Strategien" für mich im Laufe der 1990er Jahre immer mehr an Bedeutung. Dieses war offensichtlich auch für einige andere Musiker meiner Generation der Fall, mit denen ich dann verstärkt auch gemeinsam an einer reduktiven Ästhetik zu arbeiten begann. In Berlin waren das z.B. Andrea Neumann, Axel Dörner, Annette Krebs, Robin Hayward, Ignaz Schick und Michael Renkel (mit dem ich allerdings bereits seit den Achtzigern zusammenarbeite), aber auch Londoner Musiker wie Phil Durrant, Rhodri Davies, Mark Wastell oder Matt Davis, wenn auch vielleicht mit einer etwas anderen Gewichtung.
Hatten für mich, ästhetisch sozialisiert nicht zuletzt durch Art Rock/Punk/Wave/Industrial, noch im Verlauf der Achtziger Dekonstruktion und die vermeintlich subversive Rauhheit des Noise ein kritisches und kreatives Potential, so wandelte sich diese Einschätzung im folgenden Jahrzehnt grundlegend. Wenn auch auf recht oberflächliche Weise, so waren doch all diese Elemente inzwischen von der Mainstream-Kultur gründlich aufgesogen und marktfähig gemacht worden. Mit einem deutlich wahrnehmbaren qualitativen und quantitativen Sprung wurde nun alles überwiegend laut und aggressiv schrill.
Gleichzeitig erschien mir die Improvisierte Musik, - das Feld also, in dem ich am Ende der Achtziger selbst zu arbeiten begann -, auch da wo sie sich weit vom Free Jazz entfernt hatte, oft als zu geschwätzig und bisweilen geradezu wie vom horror vacui getrieben.
Es entstand daher ein grundlegendes Bedürfnis nach mehr Konzentration und Klarheit in der Musik. Als vielversprechende Strategie, um dieses zu bewirken, erwies sich die Reduktion in verschiedensten musikalischen Parametern, respektive Ereignisdichte und Dynamik.
Zum Ausgangspunkt der Musik wurde die Stille, in die das Klangmaterial gesetzt wurde, anstatt es in permanentem Ereignisfluß auseinander herauszuentwickeln, was zu einem bewußteren Umgang mit diesem führte: Beginn, Ende, Dauer, Lautstärke, Dynamik, Intensität und Qualität eines jeweiligen Klangereignisses und dessen Verhältnis zu anderen Klangereignissen (Wechselwirkung, Schichtung, Überlagerung) bzw. dessen Bedeutung in Bezug auf Struktur und Form eines Stückes.
Weiterhin ergab sich eine Tendenz, vorwiegend mit sehr leisem Klangmaterial zu arbeiten, wodurch ein mikroskopisches dynamisches Spektrum mit großem Differenzierungspotential eröffnet wurde.
In der zweiten Hälfte der Neunziger bildeten sich in Berlin aus dem oben genannten kleinen Kreis von Musikern diverse Besetzungen, in denen wir unter Verwendung von sehr abstraktem Klangmaterial intensiv an dieser Art von Reduktion gearbeitet haben. Aber auch in anderen Gruppen kamen reduktive Tendenzen deutlich zum tragen. So beschritten wir z.B. mit Activity Center (im Duo mit dem Gitarristen Michael Renkel) einen eher absurd-spielerischen und dadurch weniger abstrakten Weg der Reduktion oder konzentrieren uns bei Perlonex (mit Ignaz Schick, electronics und Jörg Maria Zeger, e-guitar) zwar auf wenige ausgewählte Klangmaterialien, die wir häufig über lange Zeiträume ausloten und oft sehr minimal entwickeln, gelangen dabei aber zu einer mitunter auch sehr dichten Musik mit großen dynamischen Abstufungen.

Insgesamt sehe ich musikalische Reduktion eher als eine Methode der Klärung, die zu einem gerade in der heutigen Zeit oft wünschenswerten prägnanteren und bewußteren Umgang mit Klangmaterial führen kann. Darin könnte ihre Bedeutung für die Musik der Gegenwart liegen. Wird sie allerdings zur ultima ratio hochstilisiert, könnte sie auch leicht die Gefahr in sich bergen, in Stagnation und/oder Esoterik umzukippen.



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